Unsere Weihnachtsgeschichten
DAS WEIHNACHTSESSEN - DIE NEUE WINTERGESCHICHTE MIT RABE UND MAUS
Was für ein Usselwetter! Seit Tagen regnete es und das kurz vor Weihnachten! Der Rabe war bis unters Gefieder nass und die Maus zitterte in ihrem nassen Fellkleid. Bald war Weihnachten und beide hatten ihren Familien versprochen, die Zutaten für das Festmenü zu sammeln. Im Wald scharrte der Rabe lustlos in der feuchten Erde, um an Wurzeln zu kommen. Die Maus war ganz aufgeregt, als sie eine Tüte mit ein paar Nüssen, einem Stück Käse und einem dicken, rotbackigen Apfel fand, die Spaziergänger auf einer Bank vergessen hatten. Der Rabe spießte die Tüte mit seinem Schnabel auf und flog sie ins Gebüsch nahe der Mausehöhle. „Ich habe gar keine Lust auf Weihnachten″, sagte er und dicke Tropfen rutschten über seine dunklen Federn. „Warum nicht?″, wollte die Maus wissen. „Da kommt meine ganze Verwandtschaft zu Besuch und irgendwann fangen alle an, wild durcheinander zu krächzen.″ Die Maus schaute den Raben erstaunt an: „Streitet ihr dann etwa?″ „Ja, das ist immer dasselbe, von wegen Fest der Liebe″, seufzte der Rabe und krächzte dabei selbst ein wenig, „am liebsten würde ich mit Dir feiern.″ Die Maus spitzte ihre Ohren. Sie freute sich immer riesig auf das Weihnachtsfest, weil die ganze Mausehöhle mit der Riesenmäusebande belegt war, sie sich die Bäuche mit Leckereien füllten, zusammen kuschelten und besinnliche Geschichten erzählten. Dass Weihnachten kein friedliches Freudenfest sein könnte, kam ihr gar nicht in den Sinn.
In der Nacht schlief die Maus unruhig. Sie träumte vom Weihnachtsfest der Rabenfamilie: Wie sie alle krächzend auf einem Ast hockten und freudlos auf der Festtafel herumpickten. Doch ihre kleinen Herzen pochten ganz laut und die Maus hörte, wie sie sich nach Wärme und Verbundensein sehnten. Am nächsten Tag erzählte sie dem Raben von ihrem Traum. „Wahrscheinlich wollen wir alle, dass es ein schönes Fest wird, aber irgendwie gelingt es uns nicht″, überlegte er laut. Und so heckten die beiden einen Plan aus.
Am Heiligen Abend hatte es sich der Rabe alleine auf dem Ast seiner großen Eiche gemütlich gemacht, nebenan war das freudige Piepsen der Mäusebande zu hören, die in der Höhle zusammen feierten. Doch am nächsten Abend wartete er mit der Maus gespannt in der Baumkrone. Dicke Flocken rieselten vom Himmel und zauberten Schneehäubchen auf ihre Köpfe. Alle Schätze, die sie gefunden hatten, waren auf dem Ast verteilt. Der dicke Apfel glänzte in der Mitte. Von den Zweigen hingen Girlanden aus Zapfen und roten Beeren. Dann sahen sie, wie aus der blauen Nacht schwarze Schatten lautlos auf sie zuflogen und noch etwas auf ihrem Rücken trugen. Bald war der Ast voll mit Rabenverwandten und mit vielen anderen Tieren: Eichhörnchen, Igel, Eule, Meise, ja sogar ein kleiner Waschbär war dabei. „Schön, dass ihr alle gekommen und meinem Vorschlag gefolgt seid, das Festmahl um einen Tag zu verschieben. So können wir jetzt gemeinsam als Familie und mit unseren besten Freunden feiern″, sagte der Rabe feierlich und blickte freudig in die bunte Runde. Bald drang amüsiertes Krächzen, Kichern, Fiepen und Keckern von der Eiche in die dunkle Nacht. Es klang fast wie ein Chor. Das schönste Weihnachten für die Rabenfamilie seit langem. Beim Abschied waren alle beschwingt und glücklich und beschlossen, dass sie nicht bis zum nächsten Weihnachtsessen warten wollten, um sich wiederzusehen.
Ingrid Yasha Rösner, exklusiv für den Sauerländer Hof
SCHEIN UND SEIN - EINE WEIHNACHTSGESCHICHTE
Dicke, große Schneeflocken rieselten vom Himmel und kleideten Felder und Bäume in ein prächtiges, weißes Gewand. Der Tag neigte sich zu Ende. Der Rabe saß versteckt in einer Tanne und lugte zwischen den Ästen hervor. Ihm war kalt. Gegenüber beobachtete er eine Eule, die sich für die Jagd bereit machte. Sie putzte ihr schönes, weißes, bauschiges Gefieder. Traurig senkte der Rabe seinen Blick und sah auf sein pechschwarzes Kleid herab. Im Winter kam es ihm besonders hässlich vor. Seine Gedanken wurden unterbrochen, als er etwas Goldenes durch den Schnee wuseln sah. Beleuchtet vom Mond blitzte es immer wieder hervor. Der Rabe kam aus seinem Versteck und flog Ast für Ast herunter. Er traute seinen Augen nicht: Es war eine Maus mit goldenem Fell!
In diesem Moment riss die Eule sie vom Boden und verschwand mit ihr in die Dunkelheit. Der Rabe war bestürzt. Zu gern hätte er gewusst, wie die Maus zu ihrem besonderen Fell gekommen war. So versuchte er der Eule zu folgen - und hatte Glück. Im dunklen Wald erkannte er den goldenen Schimmer der Maus und sah, wie sie mit der Eule sprach: „Wenn Du mich frisst, wird es kein Weihnachten mehr geben!" „So ein Unsinn", sagte die Eule, „was erzählst Du da?" „Es ist wahr", sagte die goldene Maus, „ich bin ..." Weiter kam sie nicht mehr, der Rabe zog sie im Flug aus den Klauen der Eule, die entsetzt kreischte. Er flog weit und weiter, bis er mit der Maus auf einem hohen Baumwipfel landete.
„Willst Du mich auch fressen?", fragte sie zitternd. „Nein, mich interessiert viel mehr, wie Du zu Deinem leuchtenden Fell gekommen bist!", sagte der Rabe. „Ach, hm. Die Farbe ist nicht echt", flüsterte die Goldmaus verlegen. „Ich war so traurig und wollte nicht mehr unscheinbar sein. Da hab ich durch's Fenster gesehen, wie Kinder Papiersterne golden anmalten. Ich schlich mich nachts ins Haus, nahm ein Bad im Farbtopf und trocknete mich auf der warmen Heizung." Der Rabe glubschte verdutzt. „Warum hast Du der Eule gesagt, dass es kein Weihnachten mehr geben würde, wenn sie Dich auffrisst?" Die Maus blickte verlegen. „Na ja, das war ein Trick wie der mit der Farbe." „Du bist sehr clever, kleine Maus", schmunzelte der Rabe begeistert. Seine Augen leuchteten als er daran dachte, wie er bald aussehen könnte. „Nein, Rabe, das bin ich nicht. Ich war ziemlich dumm. Das Gold hat mein Mausgrau verdeckt, doch ich bin sichtbarer denn je. Jede Nacht muss ich mir irgendwelche Geschichten ausdenken, um meinen Jägern zu entkommen. Erst jetzt verstehe ich, warum es gar nicht gut wäre, wenn alles golden wäre. Es gäbe kein Himmelblau und keine grüne Wiesen und was wäre ein Regenbogen nur aus Gold? Wir würden vergessen, wie viel Farben das Leben hat und das sie alle dazu gehören. Wenn wir versuchen, eine davon zu verbergen, sind wir nicht mehr wir selbst. Wir scheinen zu glänzen, doch ist es nur der Schein, nicht unser Licht."
Der Rabe senkte seinen Kopf. Der Mond ließ sein schwarzes Gefieder silbrig glänzen. Er verstand. Wie viel Zeit hatte er damit vergeudet, etwas zu verändern, was nicht zu ändern war - und es auch nicht wert gewesen wäre. Er blickte zur Maus: „Komm, ich helf Dir, den Schein runter zu waschen." Die Maus nickte und blickte nochmal auf ihr goldgefärbtes Fell. Dann wälzten sich die beiden im Schnee, formten darin Engel, große und kleine. Ihr Lachen erhellte die dunkle Nacht.
Ingrid Yasha Rösner, exklusiv für den Sauerländer Hof
LICHT UND SCHATTEN - DIE NEUE WINTERGESCHICHTE MIT RABE UND MAUS
Wieder war es Winter geworden. Die Schneeflocken rieselten vom nachtblauen Himmel. Der Mond erhellte die Dunkelheit.
Es war still, ganz still. Das Weiß schluckte jeden Laut. Nur ein leiser Windhauch war zu hören. Kalt, aber sanft strich er über die schneebedeckten Felder und blies durch das Fell der kleinen Maus, die zum Raben auf die alte Eiche hochgeklettert war. Seit ihrem goldenen Abenteuer waren die beiden unzertrennlich (mit diesem QR-Code geht's zur Geschichte). „Du, Rabe", sagte die Maus, „wie macht der Mond das eigentlich, dass er so hell leuchtet?" „Weißt du das etwa nicht?", fragte der Rabe erstaunt.
Die Maus schüttelte den Kopf. „Er kann nachts nur leuchten, weil er tagsüber Sonnenlicht tankt", erklärte der Rabe. „Wie macht er das?", wollte die Maus wissen, „Ist er so eine Art Solarzelle?" „Du weißt was Solarzellen sind, hast aber keine Ahnung von dem, was täglich draußen in der Natur vor sich geht", krächzte der Rabe.
Die Maus erzählte ihm, wie ihr Mäuseonkel allen Verwandten stolz seine neue Mausehöhle gezeigt hatte. An seinem sonnigen kleinen Versteck in einer alten Hütte hatte er ein Stück abgebrochener Solarzelle befestigt und mit lauter Kabeln nach innen stube verdrahtet. Ihnen begeistert erklärt, diese würde im Winter Licht und Wärme zaubern und sie wären dann bei Eiseskälte nicht mehr auf Gruppenkuscheln angewiesen.
Alle standen mit offenen Mäulchen da und wussten nicht, ob das nun gut oder schlecht war. Doch seine Idee funktionierte nicht. Jetzt fror er, schimpfte vor sich hin, alles erschien ihm nutz- und wertlos und er blieb in seinem dunklen Versteck sitzen. Keiner konnte ihn raus locken, nicht zu einer Streiftour über Wiesen und Felder, nicht einmal in die Kornkammer von Bauer Jakob. „Manches kann man nicht mehr reparieren", meinte der Rabe und schüttelte den Kopf, „aber man muss wissen, was einem wirklich wichtig ist." Die Maus rückte ein wenig näher an den Raben und kuschelte sich an ihn.
„Ich bin froh, dass ich mich an dir wärmen kann", meinte die Maus und wurde ein bisschen rot unter ihrem Fell. „Dinge können kaputt gehen, aber Freundschaften nicht." „Doch", befand der Rabe, „wenn man sie nicht pflegt, sie nicht wertschätzt und anderen nicht zeigt, was sie einem bedeuten. So wie bei deinem Onkel. Ihn friert es nicht, weil seine Idee nicht funktioniert, sondern weil er einsam ist und nicht mehr fühlt, was er wirklich zum Leben braucht." Die Maus dachte nach – und an ihren Mäuseonkel. Er war nicht wiederzuerkennen.
Keiner der Verwandten besuchte ihn mehr, denn er war miesepetrig und scheuchte alle davon. Es schien, als hätte sich ein dunkler Schatten über ihn gelegt. Der Maus stellte es bei diesem Gedanken das Fell auf, aber mit dem Raben an der Seite ging es ihr schon besser. Der Rabe spürte ihr Zittern, legte einen Flügel um ihren kleinen Körper und wärmte sie mit seinem schwarz glänzenden Federkleid. Die Maus schloss ihre Augen und seufzte. Keine Solarzelle der Welt könnte ihr dieses Gefühl schenken. Geborgenheit. Nähe. Gemeinsamkeit. Sie blickten in den nächtlichen Sternenhimmel zu dem dicken, runden Mond.
Irgendwie schien er noch ein bisschen heller zu leuchten als vorhin. Und die beiden beschlossen, morgen den Mäuseonkel zu besuchen und mit ihm draußen Sonnenlicht zu tanken, um später gemeinsam in die dunkle Nacht hineinzuleuchten.
Ingrid Yasha Rösner, exklusiv für den Sauerländer Hof